INF-Vertrag und die deutschen Staaten

INF-Vertrag und die deutschen Staaten
INF-Vertrag und die deutschen Staaten
 
Mit dem Beginn der Stationierung amerikanischer Mittelstreckenraketen in der Bundesrepublik gemäß dem NATO-Doppelbeschluss hatte die Sowjetunion im November 1983 die zweiseitigen Abrüstungsverhandlungen mit den USA abgebrochen. Im März 1985 wieder aufgenommen, führten langwierige Verhandlungen sowie zwei amerikanisch-sowjetische Gipfeltreffen (im November 1985 in Genf und im Oktober 1986 in Reykjavík) am 8. Dezember 1987 in Washington zur Unterzeichnung des Vertrages über »Intermediate-range Nuclear Forces« (INF, »Kernwaffen mittlerer Reichweite«) durch den amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan und den sowjetischen KP-Generalsekretär Michail Gorbatschow.
 
Das Abkommen sah den vollständigen und weltweiten Abbau aller amerikanischen und sowjetischen landgestützten Mittelstreckenraketen längerer und kürzerer Reichweite einschließlich der Abschussvorrichtungen in einem Zeitraum von drei Jahren vor.
 
Zu Recht wurde das Abkommen in der Weltöffentlichkeit als Durchbruch bei den Abrüstungsbemühungen bewertet. Handelte es sich doch nicht um eine Rüstungskontrollvereinbarung, bei der bestimmte Obergrenzen für atomare Waffen festgelegt wurden, sondern um die Abschaffung einer ganzen Kategorie amerikanischer und sowjetischer Raketen - verbunden mit der erstmaligen Vereinbarung wirksamer Kontrollverfahren.
 
In beiden deutschen Staaten, als Stationierungs- wie als mögliche Ziel-Länder militärisch besonders exponiert, wurde der INF-Vertrag begrüßt. Beide deutsche Regierungen hatten auch während der Unterbrechung der amerikanisch-sowjetischen Verhandlungen ihre Kontakte aufrechterhalten und weiterentwickelt, beide hatten ihren jeweiligen Bündnispartner zur Abschaffung der Mittelstreckenraketen gedrängt. Das nun erreichte Abkommen verbesserte das Klima zwischen den Supermächten und damit auch die Perspektiven für eine Weiterentwicklung der deutsch-deutschen Beziehungen.
 
Im Vorfeld des Abschlusses des INF-Vertrages war es allerdings im Frühjahr/Sommer 1987 zu deutsch-amerikanischen Unstimmigkeiten und zu einer innenpolitischen Kontroverse gekommen. Die amerikanisch-sowjetischen Verhandlungen hatten sich auf eine »doppelte Nulllösung« zubewegt, das heißt nicht nur Mittelstreckenraketen längerer Reichweite (1 000-5 500 km), sondern auch solche kürzerer Reichweite (150-1 000 km) sollten abgebaut werden. Zur letzteren Kategorie gehörten auch 72 Pershing-IA-Raketen der Bundeswehr, die über einen unter amerikanischem Verschluss stehenden Atomsprengkopf verfügten. Die CSU und Teile der CDU wollten die Pershing IA nicht in die Nulllösung aufgenommen wissen und eine Option für eine Modernisierung dieser Waffen behalten. Hingegen trat die FDP (wie auch die Opposition aus SPD und Grünen) für den Verzicht auf diesen Waffentyp ein. Den öffentlich ausgetragenen Streit in der Regierungskoalition entschied im August 1987 schließlich Bundeskanzler Kohl unter ausdrücklicher Berufung auf seine grundgesetzliche Richtlinienkompetenz: Die Zustimmung der Bundesrepublik Deutschland zur doppelten Nulllösung ebnete den Weg für die Einigung der USA und der Sowjetunion auf den INF-Vertrag.

Universal-Lexikon. 2012.

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